Im Gespräch mit dem Alltagsphilosophen
von Stephanie Schiller
Der Alltagsphilosoph
In der väterlichen Kaffeerösterei im Münsterland röstete er die Bohnen für den ersten Widerstandskaffee und unterstützte mit Sandino Dröhnung den Freiheitskampf in Nicaragua. Das war Ende der 70er Jahre. In der Folge gehörte er zu den Kaufleuten, die sich für fairen Handel einsetzten, und importierte Bio-Kaffee aus Mexiko. Pioniersarbeit. Bis heute ist Franz Niehoff dieser Rolle treu geblieben. Während er, was er im BWL-Studium lernte, jahrzehntelang in Kaffee-Karriere und Familienunternehmen steckte, lebt er jetzt sein Nebenfach aus Berliner Studienjahren aus – die Philosophie. Er packt seine Weisheiten in rauchig gesungene Lieder. „Träumer“ heißt seine aktuelle CD.

Sandino Dröhnung war so scharf geröstet, dass sogar politisch motivierte Redakteure der taz ihn irgendwann nicht mehr trinken wollten. Das war ein Missverständnis. Der Kaffee war nie scharf geröstet. Aber in den 80er Jahren bekam ich einmal eine Lieferung Rohkaffee, bei der ich den Eindruck hatte, da war auf der Plantage wirklich alles zusammengefegt worden, was rumlag, in Säcke verpackt und als Nicaragua-Kaffee nach Deutschland verschifft worden. Und nun sollte ich diese „Bohnen“ rösten. Als ich die Mischung sah, habe ich gleich gesagt, Freunde, das können wir nicht machen! Der Kaffee schmeckt nicht! Die Mehrheit bei den Kaffee-Abnehmer in Berlin aber sagte: Franz, röste den so, wie er da ist. Dann kommt das Leid der Dritten Welt so richtig rüber.

Muss Widerstand denn immer weh tun? Nein, für mich war das einfach eine Katastrophe. Die Menschen haben den Kaffee ja nicht nur gekauft, um damit die Kleinbauern zu unterstützen, sondern auch, weil sie ihn trinken wollten. Diese Sache hängt uns fast noch bis heute an. Dabei war das nur in einem Zeitraum von drei Monaten, am Ende der Ernte. Aber es hätte fast gereicht, um den Ruf des so genannten „Dritte-Welt-Kaffees“ zu ruinieren.

Wer hatte damals in Berlin denn mehr Lust auf Revolution – der Kaufmann Franz Niehoff oder der Philosoph Franz Niehoff? Der Philosoph sah die Notwendigkeit, die Menschen in Lateinamerika zu unterstützen. Das hat sich auch bis heute nicht geändert. Und der Kaufmann wusste, man muss das Ganze auch kaufmännisch angehen, sonst läuft man Gefahr, mit seiner Idee sehr schnell zu sterben.

Mit Bio-Kaffee aus Lateinamerika und dem Konzept des fairen Handels wurde mittlerweile ein Traum wahr... Ja, dabei habe ich am Anfang nicht an den großen Erfolg geglaubt. Ich dachte, Dritte-Welt- und Bio-Kaffee würden immer nur eine kleine Klientel interessieren. Ich erinnere mich noch an den ersten Sack Kaffee aus Nicaragua. EIN Sack! Und dann ging die Post ab. Und nach kurzer Zeit kam der Kaffee lastzugweise bei mir in der Rösterei an.

Die Niehoff'sche Rösterei liegt nahe der holländischen Grenze, in Gronau-Epe. Da ist schon Udo Lindenberg abgehauen. Ja, der war einige Jahrgänge über mir in der Schule. Gronau ist nicht besonders groß. Man kennt sich. Hier hatte gefühlt ja jeder als Jugendlicher seine eigene Band. Ich haute auch ab – und hatte nicht vor zurückzukommen. Aber kurz vor Abschluss meines Studiums in Berlin starb mein Vater. Er war erst 55! Allein konnte seine kleine Firma unmöglich existieren. Also musste ich zurück. Ich habe noch mein Examen gemacht und bin dann nach Gronau-Epe gezogen.

Haben Sie dafür andere Träume aufgeben müssen? Ja. Natürlich. Man kann sich vorstellen, ein Junge aus der Provinz geht nach Berlin, damals eine Enklave, Freiheit ohne Ende, keine Polizeistunde, Studentenunruhen und der Traum von einer besseren Welt... Aber – wie so oft im Leben: Manchmal wählt man einen anderen Weg und lernt auch diesen lieben.

Wird man darüber zum Realisten? Hölderlin hat einmal gesagt, „ein Gott ist der Mensch, wenn er träumt...“ Ich denke ja, es gibt nicht nur Träumer oder Realisten. Wenn ein Realist nicht an Wunder glaubt, ist er kein Realist. Ich bin natürlich gerne Träumer, und ich bin überzeugt davon, dass nur durch Träume und durch Träumer die Geschichte morgen weitergeht. Ich begeistere mich immer für gute Ideen und für Leute, die anders denken. Aber ich bin auch überzeugt, dass sich jeder Traum, jede Idee, in der Realität bewähren muss, sozusagen unter realen Bedingungen. Da halte ich es mit den Fußballern. Die sagen: Wichtig is' it auf´m Platz.

Gibt es einen – unerfüllten – Traum, den Sie noch immer träumen? Viele! Ich denke oft, wenn ich aufhöre zu träumen, höre ich auf zu leben. Aber wer weiß, vielleicht ist ja auch der Schluss nur ein Traum. Momentan träume ich davon, meine Gedanken und Einsichten über die Welt mit anderen Menschen zu teilen. Ich habe lange überlegt, wie das am besten geht. Ich hatte ja schon ein Buch geschrieben – „Felix, wer ist in dir? Der Weg zur inneren Mitte“, das in der Westfälischen Reihe verlegt wurde. Aber die beste Möglichkeit erschien mir dann doch, meine Sicht auf die Welt, das Leben, die Liebe in Musik zu packen. Songs, also gesungene Texte, berühren die Menschen direkter als ein Text, den man erst lesen muss.

Spielte die Musik schon immer eine Rolle in Ihrem Leben? Ja, ich sage immer, Kaffee ist mein Lebensmittel, Musik mein Überlebensmittel. Wenn ich nach Lateinamerika reise und die Kaffeebauern dort besuche, feiern sie zur Begrüßung immer gleich ein Fest. Und immer wird gesungen. Sehr unterschiedlich, die einen singen sehr fröhlich. Und die Mexikaner manchmal eher gequält, mein Pferd ist tot, das Haus ist abgebrannt, die Frau ist weg... Aber alle singen vom Herzen. Und die Musik lebt mit. Mir geht es genauso – immer war und ist Musik in meinem Leben. Als ich 2011 die Rösterei übertragen und mich aus dem operativen Geschäft zurückgezogen habe, rückte die Musik in den Mittelpunkt. Ich habe aus meinen Notizen der letzten Jahre Texte geschrieben, Songs dazu komponiert und sie mit einer Band aus Profi-Musikern eingespielt. Daraus wurde die CD „Träumer – der Alltagsphilosoph“.

Im Booklet schreiben Sie „Gute Musik ist ein Vorgeschmack auf den Himmel“. Ja, was auch immer man unter Himmel verstehen mag! Musik ist ein Weg dahin, so etwas wie ein sinnliches Transportmittel. Sie kann die Seele berühren.

In den Songtexten, wie etwa in Die Welt ist für alle da, geht es oft um Veränderung, darum, in die Vorgänge auf der Welt einzugreifen, sich einzumischen. Wer verändert die Welt eher – der Kaffeeröster oder der Musiker? Die Welt verändern, das wollen wir alle gern und das wollen wir alle gern schnell. Aber es sind viele kleine Schritte, für den Kaufmann und Kaffeeröster genauso wie für den Musiker. Was die Kleinbauern in Lateinamerika angeht, liegt mir vornehmlich die Ausbildung der Kinder dort am Herzen. Zusammen mit meinem Freund Uli Walter habe ich auf einer der Fincas eine Schule gegründet. Die Kinder der Saisonarbeiter lernen dort lesen und schreiben. Wir sind der festen Überzeugung, dass sie über diesen Weg später an der Kommunikation in der gesamten Welt teilnehmen, sich und ihre Bedürfnisse mitteilen und auch Ihre Rechte durch setzen können. Wer gut ist, geht danach auf eine weiterführende Schule. Unseren ersten Erfolg hatten wir schon: Einer der Jungs, die auf der Finca lesen und schreiben gelernt haben, ist mittlerweile Ingenieur. Als Musiker verändere ich im besten Fall die Stimmung der Menschen, ihre Gefühle – und verbinde mich in Gedanken mit ihnen. Ich finde beides sehr sehr spannend.
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